Mittwoch, 4. Januar 2006

Ach du freudige Erwartung

Man macht sich ja so seine Gedanken, wenn man offenbar nicht dem üblichen glücklichen Mutterbild entspricht. Das ist bei mir der Fall. Alles erwartet ein strahlendes Lächeln von mir sobald das Wort "Baby" fällt (oder auch ein anderer Ausdruck mit ähnlichem Zusammenhang) und vor allem auf die freudigen Fragen muss ich offenbar anders reagieren als ich das tue. Alles andere versetzt potentielle Freudentränenheuler in Schockzustand. Und zwar deutlich sichtbar.

Silvester Abend. Eine kleine Runde von 11 Erwachsenen und einem Baby. S., die Mutter der kleinen, selbst erst Anfang 20, bekam irgendwann mit, dass ich schwanger bin. Natürlich befanden sich gerade alle Partygäste in diesem einen Raum. Alle anwesend, keiner fehlte. Und S. sprang fast auf vor Freude und fragte völlig enthusiastisch: „Und? Wie fühlst du dich?“

Alle Augen starrten auf mich.

Ich steh ja generell nicht gern im Mittelpunkt, aber mir war jetzt zusätzlich noch klar, dass das, was ich auf diese Frage zu sagen hatte, nicht das war, was die Menge hören wollte. Ich versuchte also, dies kurzfristig in die richtigen Worte zu kleiden und stammelte letztlich was von: „Noch gar nicht...“ und „Viel zu früh...“.

S. fiel bei der Antwort quasi alles aus dem Gesicht - und nicht nur ihr, sondern auch vielen anderen im Raum - und ich fühlte mich so richtig mies. Da war es wieder, dieses im Raum schwebende: "Du müsstest dich freuen wie ein Schneekönig! Aber du tust es nicht! Rabenmutter! Rabenmutter!"

Diese Situation ging mir nicht aus dem Kopf. Also habe ich am nächsten Tag mit meiner besten Freundin C. darüber gesprochen. Da ich bereits gehört hatte, dass S. auch alles andere als freiwillig Mutter geworden ist (der goldene Schuss beim One-Night-Stand), war mir ihre Reaktion völlig unbegreiflich – sowohl die übermäßige Freude vor der Frage als auch ihre Miene nach meiner Antwort.

Und siehe da - C. erzählte mir die Story, wie lange S. dazu gebraucht hatte, sich mit ihrer Schwangerschaft überhaupt abzufinden. Wie viele Monate (!) sie heulend bei ihren Freunden vor der Tür stand und nicht mehr ein noch aus wusste. Von übermäßiger Freude und glücksseeliger Bauchstreichelei keine Spur.

Nein, dafür verurteile ich sie absolut nicht. Wenn man kein Kind geplant hat, dann ist das eine schwer zu akzeptierende Umstellung. Ich weiß das. Das geht langsam von statten. Und wenn man erst Anfang 20 ist, dann stell ich mir das noch deutlich schwieriger vor als in meinem Alter.

Nur sollte man das alles nur nicht sofort vergessen, wenn einen dann die Mutterglücksgefühle doch letztlich gefunden haben. Und so tun, als hätte es diese Verzweiflung nie gegeben. Dann wäre die Gefahr auch nicht so groß, dass man jemandem wie mir so vor den Kopf stößt mit einem Gesicht, als hätte ich einen Mord begangen.

P.S.: Dass S. keinen Alkohol trinkt, weil sie nach 7 Monaten noch stillt, möchte ich hier nicht unkommentiert lassen. Wenn ich schonmal öffentlich zugebe, dass ich offenbar nicht die Oberglucke bin, die man von mir zu sein erwartet, sondern (wie eine Freundin von mir es so herrlich bezeichnete) eine Pragmatikerin:
Ich glaub, mein Schwein pfeifft! Wozu hat der Mensch denn die Nuckelflasche erfunden? Als Mutter mutiert man doch nicht zur Kuh! Ein paar Wochen sollten doch wohl reichen! Soll das Kind mit 5 Jahren noch ankommen und sich an Mamas Brust hängen, oder was?
Eine furchtbare Vorstellung! Buah! *schüttel*

Kritisch | ramirez um 16:33h | 9 tickets | add a ticket?